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Alles im Griff - ein Portrait über Hanno Köster

Ein Tag im August in Winterberg. Ich bin mit Hanno zum Biken verabredet - eigentlich nichts außergewöhnliches, wären da nicht die erstaunten Blicke der anderen Mountainbiker.

Irgendwas ist anders. Erst beim zweiten Hinschauen merken die meisten anderen Biker, dass Hanno einhändig über die Brechsandpiste brettert. Eine Erfahrung, die die Wenigsten freiwillig machen würden.

Hanno Köster, der in der Nähe von Köln lebt und als Lehrer Physik, Geografie und Biologie unterrichtet, muss mit einem Handicap leben. Als Achtjähriger fiel er beim Mähen einer Weide vom Trecker - genau in das Mähwerk des Kreiselmähers.

Diesen Crash zu überleben war schon ein kleines Kunststück, neben anderen schweren Verletzungen wurde dabei auch sein linker Arm fast vollständig abgetrennt.

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Dieser Umstand hielt ihn allerdings nie davon ab jede Menge Sport zu treiben. Hanno spielte früher in einer Handballmannschaft und brachte es in Tang-Soo-Do, einer koreanischen Kampfsportart, bis zum blauen Gürtel. Windsurfen startete er im Alter von 19 und stürzte sich schon kurze Zeit später in die Nordseebrandung - alles ohne Prothese, beim Surfen hilft ihm eine zweite Schlaufe, um das Segel besser halten zu können.

Kiteboarden funktioniert so ebenfalls, aber Freeskiing und Snowboarden sind die favorisierten Sportarten des 39-Jährigen. Hanno gibt inzwischen auch als DSV Ausbilder Ski- und Snowboardfortbildungen.

Zurück nach Winterberg. Ich fahre hinter Hanno den Giro Free Cross hinunter, eine schnelle, flowige Anliegerstrecke mit knapp 30 Steilkurven. Einhändig müsste das auch funktionieren denke ich mir, löse die linke Hand vom Griff und liege keine zwei Kurven später in einer großen Staubwolke am Boden.

Das Vorderrad war überraschend bei der Kurvenausfahrt weggerutscht... unten am Lift wartet Hanno mit einem breiten Grinsen.

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Ich werfe einen Blick auf Hannos Cockpit: es ist zwar anders aufgebaut, besteht aber aus serienmäßigen Standardkomponenten. Der linke Bremshebel wurde einfach nach rechts montiert, so dass mit dem Zeigefinger die Hinterradbremse sowie dem Mittel- und Ringfinger die Vorderradbremse bedient werden kann.

Auch die Schalthebel für Umwerfer und Schaltwerk sind auf der rechten Seite des Lenkers befestigt, alle vier Hebel können so mit dem Daumen bewegt werden. Trotzdem muss Hanno das Vorderrad mit nur einer Hand bändigen.

Sein Arm ist ziemlich muskulös, dank speziellem Krafttraining. So hat er auf normalen Trails alles im Griff, in verblocktem Gelände gerät Hanno damit aber an seine Grenzen. Der technisch äußerst anspruchsvolle Single Trail in Winterberg war für ihn kaum fahrbar - zu tiefe Schlaglöcher und Steilstufen, dafür machten die Rides auf dem 4X und Continental Track Spaß.

Auch ans Springen tastet sich Hanno mittlerweile ran. Seinen Sattel kann er dabei allerdings nicht viel tiefer stellen, da er das Bike mit beiden Oberschenkeln führen muss.

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Einen Tag später treffen wir uns erneut, dieses Mal im Siebengebirge. Hier startete Hanno seine ersten Versuche auf dem Mountainbike, als er vor einigen Jahren nach Bad Honnef zog. Mit einer Wohnung direkt am Fuß des Drachenfels endeten gleich mehrere bekannte und geheime Trails direkt vor seiner Haustür.

Seine Lieblingssportarten sind alle abfahrtsorientiert, also warum nicht auch auf Dirt anstatt nur auf Schnee Spaß haben? Hanno legte sich ein Radon Hardtail zu und rockte nach Feierabend durchs Gelände. Zwei seiner ehemaligen Hometrails sind wir auch an diesem Tag gefahren.

Der nächste Vormittag - wir suchen nach guten Foto Locations auf den Trails in der Nähe von Overath, wo Hanno inzwischen mit seiner Familie wohnt. Eine steile Lichtung im Nadelwald ist schnell gefunden und wir legen los.

Nach einer handvoll Runs haben wir schon gute Bilder im Kasten, als es Hanno dann doch mal zerlegt. Das Vorderrad gerät in eine Rinne und Hanno überschlägt sich. Nichts passiert, der Waldboden ist weich und die Schürfwunde am Arm wird aus dem Erste-Hilfe-Pack versorgt.

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"Ich glaube, dass mir ein Fully noch mehr Sicherheit geben würde, mehr Federweg und eine bessere Dämpfung kann mir bei Situationen wie eben enorm helfen. Auch bei Wurzelpassagen und Sprüngen hätte ich damit mehr Kontrolle", meint Hanno mit Blick auf sein Hardtail mit 80mm Federgabel.

Von Prothesen hält er wenig, "Das müsste schon was Robocop-mäßiges sein, ich vertraue lieber meinem Körper, auch wenn mich das einschränkt".

"Vielleicht entwickelt ein Gabelhersteller ja mal einen geilen Prototypen", fügt er schmunzelnd hinzu.

Falls ihr Fragen an oder Feedback für Hanno habt, mit ähnlichen Handicaps Biken geht oder die ultimative Prothesenschmiede kennt, dann schickt uns eine Mail an die Redaktionadresse.

15.08.2012 © FULLFACE  |  Text: Jürgen Schall  |  Fotos/Grafiken: Jürgen Schall

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